Unser Konzept


Situation

München ist unter den deutschen Großstädten eine derjenigen mit dem höchsten prozentualen Anteil an Bewohner*innen „mit Migrationshintergrund“. Das Hinterland von München umfasst die ganze Welt. Die Lebenserfahrungen von Menschen mit den unterschiedlichsten Biografien haben Stadt und Stadtgesellschaft besonders in den vergangenen Jahrzehnten ganz wesentlich geprägt. 

Im nach wie vor bürgerlich weiß dominierten, kulturellen Leben der Stadt wird diesem Umstand aber noch immer nicht angemessen Rechnung getragen. Das 2022 anstehende Jubiläum „50 Jahre Olympia“ wäre ein international beachteter Anlass gewesen, um sich mit der Vielheit der Stadt auseinanderzusetzen und die Geschichten von Menschen in die Geschichte von München einzuschreiben, die selbst am Bau der Sportstätten beteiligt waren. Im Programm von „50 Jahre Olympia“ spielte die Stadtgesellschaft allerdings ebenso wenig eine Rolle wie jeder andere Diskurs um Teilhabe in der Gegenwart. 

Stadtgeschichte muss für eine Stadtgesellschaft der Zukunft jedoch in ihrer Vielfalt abgebildet und im institutionellen wie im kommunikativen Gedächtnis aller Münchner*innen verankert werden, wenn sich Menschen mit der Stadt in Bezug setzen sollen. Der Weg zu einem solchen Verständnis von Geschichtsschreibung und der eigenen Identität führt unweigerlich zu einer Öffnung der Perspektive und der Beteiligung der Bevölkerung.

Rechte Gewalt wie die Morde des NSU, das Oktoberfestattentat oder der Anschlag vor dem OEZ muss im Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit als Bedrohung der Freiheit aller wahrgenommen werden. Analog müssen Initiativen zur Aufarbeitung und Erinnerung von Seiten städtischer Institutionen (Stichwort „Denkmal“) insbesondere diejenigen ansprechen, die von rassistischer Gewalt im städtischen Alltag betroffen sind. Darüber hinaus gibt es auch in Sachen Inklusion von Menschen mit körperlichen oder geistigen Handicaps sowie der Frage von Geschlechtergerechtigkeit mit Blick auf die Repräsentation von Diversität – bei allen Bemühungen – noch enorme Spielräume in München.    



Konzept

Aus der Initiative für die Offenheit einer auch künftig demokratisch verfassten Stadtgesellschaft ist die Idee entstanden, ein Kompetenzteam kulturelle Vielheit als Anlaufstelle für kulturelle und soziale Diversität in der Stadt zu etablieren. Das Kompetenzteam versteht sich als Think Tank und bietet darüber hinaus fachkundige Unterstützung und Beratung hinsichtlich der Berücksichtigung und strukturellen Beteiligung der gesamtgesellschaftlichen Kompetenzen im Bereich kulturelle Vielfalt an.

Das Kompetenzteam Vielheit begreift sich als Denkraum und unabhängiger, übergreifender Service, der sich sowohl an kommunale Einrichtungen und Institutionen als auch an Privatpersonen oder Gruppen, an Politiker*innen, Akteur*innen aus der Kulturszene, der Verwaltung oder auch aus der Kreativbranche richtet. 

Das Kompetenzteam kulturelle Vielheit konzentriert sich in seiner praktischen Ausrichtung auf zwei wesentliche Bereiche:


a) Strukturelle Dienstleistung
in den Bezirken und für Institutionen, hinsichtlich der Vielheit der Gesellschaft und ihrer Zugänge

Mehrheitlich ist das Publikum in München bei kulturellen Veranstaltungen städtischer und städtisch geförderter Einrichtungen wenig divers und gehört meist einer Bildungselite an. Vor allem Bürger*innen aus finanziell prekären, gesellschaftlich marginalisierten und von Bildungsungleichheit betroffenen Schichten werden nicht erreicht. Deshalb wurden in den vergangenen zehn Jahren partizipative Projekte gestaltet, um neue Besucher*innen zu gewinnen und zu binden – Stichwort: Audience Development.

Dies gelingt jedoch kaum, da sich die Einrichtungen nicht in ihren Zielsetzungen, ihren internen Strukturen und ihrer Programmpolitik verändern. Für eine nachhaltige und diversitätsorientierte Organisationsentwicklung – Stichwort: Institution Development – müssen in den städtischen und privatwirtschaftlichen Institutionen handlungsleitende Ansätze und Maßnahmen entwickelt und verstetigt werden. Diese diversitätsorientierte Organisationsentwicklung etabliert kollaborative und diskriminierungskritische Strukturen in Kultureinrichtungen, die alle Schichten der Stadtgesellschaft ansprechen und teilhaben lassen. Ziel ist es, einen wertschätzenden Umgang mit Diversität zu erreichen und strukturelle Diskriminierung abzubauen.

In Gang gesetzt wird dieser Wandel durch ein Change Management, das folgende Handlungen umfasst:

1. Geleitetes Empowerment: Durch Workshops, Beratungen und konkrete Handlungsanweisungen werden Akteur*innen städtischer und bestehender bürgerschaftlicher Einrichtungen angeleitet, um marginalisierte Schichten direkt anzusprechen. Zugleich sollen diesen Bürger*innen Techniken und Wissen zur kulturellen Teilhabe vermittelt werden, damit die diverse Bürgerschaft durch Hilfestellung bei Antragstellungen, Aufklärung über Förderstrukturen motiviert und empowered wird, selbst Anträge zu stellen und damit langfristig Strukturen divers mitzuentwickeln.

2. Kommunikation: Die Bezirksausschüsse sind politisch, sozial und kulturell erste Anlaufstellen und Akteur*innen für eine Teilhabe an der von Vielheit geprägten Stadtgesellschaft. Gleichzeitig unterscheiden sich, je nach Stadtteil(en) die Voraussetzungen, Bemühungen und Bedürfnisse der BAs, um Bürger*innen zu erreichen, die bis dato nicht das Wissen haben, sich einzubringen. Im Sinne eines interkulturellen Consultings etabliert das Kompetenzteam eine andere Form der Kommunikation und erreicht damit eine Sensibilisierung sowie die Vermittlung eines Kunst- und Kulturverständnisses, das den Bedürfnissen verschiedener Milieus und Schichten entspricht.

3. Assessment: Da es sich bei der Thematisierung von kultureller und sozialer Vielheit um ein strukturelles Defizit handelt, bedarf es einer unmittelbaren Kooperation mit der LH München. Durch eigene Erfahrungen in unterschiedlichen Teilbereichen von Kunst, Kultur, Kultur- und Kreativwirtschaft ist das Team sowohl im institutionellen als auch im privatwirtschaftlichen Bereich mit den Herausforderungen des kreativen Arbeitsalltags – gerade auch hinsichtlich der diversen Besetzung und Bespielung von kulturellen Inhalten – vertraut. 

Die Expertise seiner Mitglieder nutzt das Kompetenzteam, übernimmt ein Assessment bei der Auswahl von Akteur*innen, berät bei inhaltlich diversen Setzungen von Inhalten (z.B. in Jurys), unterstützt Initiativen der diversen Bürger*innenschaft organisatorisch und akquisitorisch – vor allem bei Antragstellungen und im Dialog mit städtischen Gremien, BAs, Referaten etc. Zugleich analysiert es Chancen und Potenziale, macht Angebote für die gezielte Vernetzung mit Partner*innen und Institutionen.

Detaillierte Leitfäden – sowohl inhaltlich als auch in Bezug auf die personellen Kapazitäten auf die Bezirke ausgerichtet – werden in Arbeitskreisen erarbeitet und entwickelt. Wichtig ist es dabei, Kompetenzträger*innen vor Ort ausfindig zu machen und zu benennen. Somit werden sie mit ihrer Stimme auch für die BAs und andere städtische Gremien greifbar.

Mit dem Ziel, dass auch Kultur- und Kreativschaffende mit diversen Lebenserfahrungen von ihrer Arbeit leben können, setzt sich das Kompetenzteam für die Wertschätzung und finanzielle Stärkung der Akteur*innen in der Branche ein – beispielsweise durch Crowdfunding-Beratungen und Veranstaltungen, internationale Präsenz und die allgemeine Steigerung der Sichtbarkeit von diversem kreativwirtschaftlichen Arbeiten in München.

b) Kuration in der Stadt und in den Vierteln

Stadtteilfeste, Veranstaltungen in den Stadtbezirken, aber auch große zentrale Veranstaltungen in der Stadt auf städtischer und privater Basis, sprechen die Stadtgesellschaft nicht in ihrer Vielfalt an. Auch Erinnerungskultur wird oft nicht unter Einbeziehen der Kompetenzträger*innen mit kultureller und sozialer Vielheitserfahrung bearbeitet. Oft wird dabei argumentiert, dass diese nicht in ausreichendem Maße vorhanden sind. Ein solches Fazit beruht aber meist auf einer selektiven Wahrnehmung der Entscheider*innen, die „Handlungskompetenz” lediglich aus der dominanten Perspektive der vermeintlichen Mehrheitsgesellschaft sehen, der sie in der Regel auch selbst angehören. Die Interessen und Bedürfnisse außerhalb ihrer soziokulturellen Blase werden nicht wahrgenommen. Dieses generelle Problem muss ebenso dringend wie nachhaltig angegangen werden. Es ist Aufgabe des Teams, sich mit kuratorischen Angeboten beratend in die Organisation – vor allem von städtischen Veranstaltungen – einzubringen. 



Umsetzung

Das im Zusammenschluss von Expert*innen aus verschiedenen Altersstufen und gesellschaftlichen Bereichen gemeinsam entwickelte Kompetenzteam Vielheit startet mit einer dreijährigen Aktionsphase, in der prozesshaft Strukturen, Methoden und Prinzipien erarbeitet werden, um kulturelle und soziale Diversität in der Münchner Kulturlandschaft und im Weiteren auch darüber hinaus nachhaltig zu fördern. Die Initiative bezweckt mittel- bis langfristig eine nachhaltige Verstetigung und/oder Institutionalisierung ihrer Tätigkeiten.

Um konkrete Aufgaben angehen zu können, soll sich in einem internen Prozess eine Kerngruppe formieren, die sowohl organisatorisches, ökonomisches und/oder künstlerisches Wissen besitzt als auch die Kommunikation zwischen (städtischen) Einrichtungen, Gremien, Institutionen und marginalisierten Bürger*innen der Stadt befördern kann – Stichwort: „Rebirthing“. Um trag- und zukunftsfähige Lösungen zu finden, werden in dieser dreijährigen Phase zunächst Bedarfe und Erfahrungswerte in kommunalen Einrichtungen erhoben, Informationen eingeholt und analysiert, erste Projekte umgesetzt und Inhalte stetig weiterentwickelt. Das Kompetenzteam versteht sich als Netzwerk, das für alle Interessierten offen ist und bleibt.

Das ausführliche Konzept im Pdf-Format zum herunterladen: